Karriereberatung: 7 Berufe prägen eine Frau
Die aktuelle Diskussion über Hartz IV-Bezüge, das Urteil des BundesverfassungsGerichts zu Hartz IV sowie die GutscheinIdeen verfolge ich mit Spannung und frage mich, ob man nicht einfach mal das Parteiengerangel sein lassen und sachlich am Thema arbeiten könnte.
Wir haben 2008 einen Monat von Hartz IV im Test gelebt und darüber jeden Tag berichtet. Natürlich war es nur ein Test und es war auch nur ein Monat, aber wir haben geplant, organisiert, priorisiert und gerechnet. Und im Ergebnis sind wir mit dem Geld ausgekommen. Es war nicht einfach, aber hätte ich nicht darüber berichtet, wäre es weder Freunden noch unseren Kindern überhaupt aufgefallen.
Manchmal denke ich, dass das Problem nicht alleine in der Höhe der Hartz IV-Sätze liegt, sondern vor allem darin, dass viele Leute Ihr Geld nicht einteilen können. Bei Leuten mit viel Geld fällt das nicht weiter auf, aber bei Harzt IV ist dieser verschwenderische Spielraum nicht gegeben.
Ohne unsere Planung und Rechnerei hätte unser HartzIV-Geld nicht ausgereicht.
Provokant behaupte ich, dass viele Menschen auch mit höheren Hartz IV Bezügen nicht auskämen. Denn es liegt an der fehlenden Planung.
Provokant behaupte ich, dass viele Menschen auch mit höheren Hartz IV Bezügen ihre Kinder nicht in die Musikschule schicken würden.
Denn auch heute schon bieten viele Städte (in Bonn heißt das ‚BonnAusweis‘) einen Ausweis/Gutschein an, mit dem z.B. die Musikschule zu 50% bezuschußt wird, der Sportverein ist 50 günstiger, das Essen und Hort in der Schule sind kostenlos und die Museen ebenfalls. Ich bezweifle, dass viele Menschen aus Scham das Museum nicht besuchen, aus Scham den BonnAusweis vorzeigen zu müssen. Ich vermute da eher andere Gründe.
Solange aber die Diskussion nur über Diskriminierung und Bezugshöhe geführt wird, solange wird das eventuell bestehende Problem des NichtMitGeldUmgehenKönnens nicht besprochen. Solange von mehr Geld noch mehr Süßigkeiten und nicht mehr Salat und Obst gekauft wird, solange werden die falschen Gewohnheiten beibehalten und mit mehr Geld zementiert.
Haben viele Menschen vielleicht Probleme, die die Politik gar nicht lösen kann?
AnJu
17. August 2010 um 11:57 Uhr
Einerseits möchte ich Dir Recht geben, dass die Menschen oft einfach nicht mit Geld umgehen können, weil sie es nicht gelernt haben. Gerade beim Einkaufen. Da kam mal eine Sendung dazu irgendwo im Fernsehen (öffentlich-rechtlich). Da haben sie einer „armen“ Familie ihr Wochenbudget für Lebensmittel verdoppelt und einer gut verdienenden Familie das Budget halbiert. Gerade weil ja oft behauptet wird gesunde Ernährung wäre teuer. Dann haben sie die „arme“ Familie beim Einkaufen gezeigt. Typisch, ohne Zettel und sich von den Angeboten lenken lassen. Statt der billigen Pommes und Teifkühlpizza gab’s dann eben die teuren. Und zuhause haben sie dann erstmal Nudeln mit Jagdwurst-Ketchup-Soße gekocht. Sie haben dann selbst eingesehen, dass gesunde Ernährung nichts mit Geld zu tun hat und haben sich Kochtipps geben lassen.
Andererseits ist es aber tatsächlich nicht so einfach von Hartz IV zu leben. Ich habe Deinen Testversuch noch nicht gelesen, aber es ist immer etwas anderes, wenn man das für einen Monat macht oder permanent. Als ich angefangen habe zu arbeiten, hatte ich über ein Jahr nur eine halbe Stelle. Mein Mann hat sein Abitur nachgemacht. Geld hat er keins bekommen. Wir haben also von einer halben Stelle gelebt, knapp unter Hartz IV Niveau. Das ging schon. Man hat eben bei allem auf den Preis geschaut und gut gerechnet. Allerdings darf eben nichts plötzlich kommen. 400 Euro Heizkostennachzahlung können einen da ganz schön aus dem Konzept bringen. Und noch heute genieße ich es, wenn wir uns mal eine Pizza bestellen, weil ich mich erinnern kann, wie es war, als das nicht möglich war.
Frische Brise
17. August 2010 um 12:45 Uhr
Ich habe als Alleinerziehende eine Weile von Sozialhilfe leben müssen. Das Geld war sehr knapp, aber wir sind über die Runden gekommen.
Ich hätte mich damals sehr gefreut, wenn mein Sohn Gutscheine für Musikkurse o.ä. bekommen hätte.
Und das wäre mir nicht peinlich gewesen. Im Gegenteil, ich wäre stolz gewesen, daß mein Sohn solche Angebote nutzen darf und etwas Neues lernt.
Das geht doch nicht nur Familien mit Hartz4 so, daß 20 Euro zusätzlich einfach so im nächsten Einkauf versickern. Ich finde, Gutscheine wären eine sinnvolle Sache.
Petra
17. August 2010 um 15:31 Uhr
@Anju: ich bin weit davon entfernt die Hartz IV-Sätze schön zu reden. Aber man lebt damit auch nicht so armselig, wie es einem private Fernsehsender oft einreden möchten, wenn man denn plant und rechnet, wie Du ja auch schreibst. Und das ist ja genau mein Punkt: wenn durch mehr Geld das Leid nicht gemildert wird, wie geht man dann das Problem der Hartz IV Kinder z.B. an? Wie bringt man Menschen den Umgang mit Geld bei? Wäre das überhaupt eine Lösung? Kann man überhaupt jedem das Rechnen beibringen? Fragen über Fragen, die alle tausend weitere Fragen aufwerfen. Deshalb halte ich die Gutscheindebatte für eine vorgeschobene Debatte, um von der eigentlichen Sprachlosigkeit abzulenken.
Petra
17. August 2010 um 15:35 Uhr
@FrischeBrise: Hier in Bonn gibt es wie gesagt den BonnAusweis. Und den zeigt man eben vor, wenn amn den Hort kostenlos haben möchte. Gut ist. Fertig. Wieso jetzt ein Gutschein soviel diskriminierender sein soll kann ich nicht verstehen. Wenn allerdings die Gutscheine ausgegeben werden, weil ja jeder Hartz IV Empfänger „sowieso sein Geld versäuft“, dann finde ich diese Einschätzung der Bürger diskriminierend. Allerdings schreibt Anju ja über diese Fernsehsendung, wo der Hartz IV-Empfänger mit mehr Geld sich nicht so verhalten hat wie gewünscht. Ob da jedoch Gutscheine für Äpfel helfen würden, damit dieser Mensch sich gesund ernährt? ich glaube nein. Das Problem liegt wie immer auch in den Verallgemeinerungen. Es gibt immer solche und solche Menschen…..
CeKaDo
17. August 2010 um 16:58 Uhr
Das Problem solcher Aussagen wie oben ist eben jenes, das auch unsere Politiker nicht erkennen wollen. Da wird ein „Test“ über einen Monat gemacht, der fernab jeglicher Realität laufen muss.
HarztIV beschränkt sich nicht auf einen Monat, der bereits von den Vorfinanzierungen der Vormonate und der Sicherheit der nachfolgenden Monate mit höherem Einkommen gesichert ist.
Vielmehr existieren im HarztIV auf eine hoffnungslos unbegrenzt scheinende Zeitdauer keinerlei Reserven für auch nur den Hauch einer Möglichkeit, am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen.
Die „Tester“ haben am Monatsanfang des Testmonats eine geheizte Wohnung, eine funktionierende Waschmaschine (die jederzeit ausgetauscht werden könnte, wenn sie defekt wird) , eine sorgenfreie Stromversorgung, einen gefüllten Vorratsschrank, eine gefüllten Kühlschrank, eine bezahlte Klassenfahrt der Kinder, einen PKW mit vollem Tank, eine bezahlte Kfz-Versicherung, bezahlte Steuer und so weiter und so fort. Das alles fehlt dem HarztIV-Empfänger.
Ich besitze ein absolut ausgeprägtes Zeit- und Resourcenmanagement dank langem (!) Bezug von HarztIV. Und ich werde stinkewütend über diese Überheblichkeit, wenn mir jemand von „einem Monat unter HartzIV-Bedingungen“ erzählen will, wie schön das geht.
Es sind auch in NRW nahezu alle Fördermittel für Kinder und Jugendliche, sowie arme Familien auf Null bis fast Null gekürzt. Für Klassenfahrten ist man auf das Betteln beim Förderverein der Schule angewiesen. Schulbücher werden manchmal vom Jugendamt beschafft, sind jedoch nie genug vorhanden.
Es geht keinesfalls nur darum, das Geld anders zu verteilen. Das kann ein Familienberater durchaus in den Griff bekommen. Wenn er denn einmal vom Jugendamt (sofern Kinder vorhanden sind) endlich „mit genug Kapazität“ versehen ist. Wer berät Erwachsene?
Und wer berät die Menschen, die sich nicht trauen, einem fehlerhaften Bescheid der ARGE zu widersprechen. Ich habe in der Zeit meiner „Laufbahn“ als HartzIV-Empfänger eine unglaubliche Anzahl falscher Bescheide erhalten, die alle (!) zu meinen Gunsten korrigiert wurden, als ich Widerspruch eingelegt hatte.
Im Argen liegt die Tatsache, dass absolut niemand ermessen kann, wie man mit HartzIV überleben (!) kann, wenn keine Aussicht auf Besserung besteht. Von den 359 € eines Alleinstehenden gehen allein schon durchschnittlich 40 € für Strom, 20 € für Telefon und Internet und die nötigen Versicherungen ab. Oft bleiben da nur noch weniger als 250 €, wenn man nicht in die Insolvenz gehen will. Mir mache mal jemand vor, wie man mit weniger als 9 € täglich auf Bewerbungstour gehen, Rücklagen für Staubsauger oder Waschmaschinen schaffen und sich gesund ernähren soll.
Man kann vom Dreckfressen durchaus überleben. Von dem dreck nämlich, den HarztIV-Empfänger der Politik und anderen Leuten wert sind.
Gutscheine? Her damit! Und wir sind bald im nächsten Schritt bei der öffentlichen Kennzeichnung von HarztIv-Empfängern. Danke schön!
Wie wäre es denn, wenn in die Arbeitslosen investiert würde? Statt Arbeitskräfte abzubauen und aus dem Ausland Fachkräfte zu ordern, lieber Weiterbildung betreiben und aus den „Schmarotzern“ wertvolle Mitglieder der erlauchten Gesellschaft machen. Es ist wirtschaftlich erheblich günstiger, in die Bildung für Kinder von Asozialen zu investieren, als diese später in bester Familientradition mit Sozialgeld groß zu ziehen. Doch das entspricht nicht den Gedanken der Politik.
Lieber „testet“ man und stellt fest, es gibt „noch immer zu viel Geld für keine Arbeit“.
Justitia ist blind. Unsere Politik ist blind und dumm.
Petra
17. August 2010 um 17:06 Uhr
@CeKaDo: Herzlich Willkommen und vielen Dank für den beeindruckenden Kommentar. Um die Menge an Geld und den Abstand zum Erwerbseinkommen geht es mir gar nicht. Mir ging es um die organisation von Geld, wie Sie es ja auch beschreiben und das man das irgendwie in den Griff bekommen müßte. Und das alleine die Erhöhung der Bezüge keine Lösung darstellt. Ich hoffe von Überheblichkeit war in meinem Artikel keine Spur, ansonsten täte es mir leid!!
AnJu
18. August 2010 um 08:38 Uhr
Wie wär’s denn mit kostenlosem Essen in den Schulen? Im Moment kostet ein Essen in der Schulkantine oft mehr, als einem Hartz IV Kind pro Tag für Lebensmittel zusteht.
Petra
18. August 2010 um 09:10 Uhr
@Anju: kostenloses Essen gibt es hier in Bonn über den BonnAusweis. Aber warum geht das Kind nicht nach Hause essen? Dort ist doch jemand zu Hause, sonst wäre ja kein Hartz IV.
AnJu
18. August 2010 um 09:49 Uhr
In der Stadt kann man vielleicht nach Hause gehen. Wo ich aufgewachsen bin, fahren die Schüler bis zu einer Stunde mit dem Bus zur Schule. Bei einer Stunde Mittagspause kann man da einfach nicht nach Hause fahren. Und wenn die Kantine zu teuer ist, dann kauft man sich eben doch eine Tüte Chips und eine Dose Cola im Supermarkt.
ramona
18. August 2010 um 10:57 Uhr
hm. Eine interessante Diskussion. Ich würde mich freuen, wenn die Hartz IV Sätze der Kinder an die Realität angepasst würden. Der Regelsatzt für Kinder ist nämlich deutlich niedriger als der für Erwachsene. Kinder haben aber teilweise sogar höhere Ausgaben bzw zumindest gleich hohe. Teilweise essen meine Kinder in Wachstumsphasen mehr als ich. Und sie wachsen auch schneller und brauchen öfter Sachen als ich. Und das liegt nicht an meinem (Un)vermögen, mit Geld umzugehen. Ja, ein bisschen Realitätsorientierung der Politik und weniger Verallgemeinerung wäre schön. Ich habe aber keinen Vorschlag, wie man das gut regeln könnte. Ich bin mir sicher, der Knackpunkt liegt in der Bildung.
AnJu
18. August 2010 um 14:10 Uhr
Eigentlich dachte ich, dass es bei dem Urteil darum ging, dass die Sätze für Kinder nicht einfach als verminderter Erwachsenenesatz angesetzt werden sollen, sondern die angepasst berechnet werden sollen. Eben mehr für Kleidung und Nachhilfe, dafür aber nichts für Zigaretten. (Allerdings fürchte ich, dass man da durch „gutes“ Rumrechnen doch wieder auf exakt den gleichen Betrag kommt.) Wie ist man dann eigentlich auf diese Gutscheindiskussion gekommen?
Petra
19. August 2010 um 09:36 Uhr
@Anju: soweit ich mich erinnere kam die Gutscheinidee auf (die es ja schon lange gibt), weil man glaubt, dass (etwas überzogen fomuliert) Hartz IV Empfänger das zusätzliche Geld für die Kinder versaufen statt esin Kinderbildung zu investieren. Sicherlich gibt es viele Menschen, die mehr Geld auch in mehr Konsum ausgeben würden statt in ihre Kinder. Also noch mehr Süßigkeiten und Fertigpizza. Aber es gibt auch viele andere Menschen, die mit dem mehr Geld ihre Kinder mehr unterstützen würden. Da die Politik aber immer von dem schlechtesten Menschenbild ausgeht kam es dann wohl zu dieser Gutscheinidee. Ich halte das gegenargument der ‚Stigmatisierung‘ für völlig überzogen, aber ich finde auch, dass man den Menschen mehr zutrauen muss. Allerdings habe ich soviele Jahre mit Menschen gelebt, die nicht mit Geld umgehen konnten (keine Hartz IV Empfänger, normale Arbeiter), dass ich kein Vertrauen in ‚mehrGELD‘ habe. Geld zerinnt ungewollt bei vielen durch die Finger….
Petra
19. August 2010 um 09:37 Uhr
@Ramona: hier wage ich zu widersprechen: auch gebildeten Leute rennt das Geld durch die Finger, aber wenn sie ein gutes Einkommen haben merkt man es nicht so schnell. Nur wenn das Einkommen wegbricht und das Reihenendhaus samt Carport im Katalog der Zwangsversteigerungen steht fallen die überzogenen Verhältnisse auf.
sandra
19. August 2010 um 22:06 Uhr
na, ich finde man hätte das nie „erfinden“ dürfen! Wie kann es sein das jemand der nie gearbeitet hat dasselbe Geld erhält wie der der 10,20,30 Jahre gearbeitet hatt??? Füher war dazs in Sozialhilfe(+ die Miete wurde gezahlt+manches Mal Extraausgaben wie Kleidung) und Arbeitslosengeld geteilt.
Und der Betrag ist wirklich zu knapp: Du muss ja nicht nur einen Monat damit essen, sondern auch Deine Miete zahlen(oder nicht?) Rechnungen, unvorhergesehenes ect
Was auch eine Unverschämtheit ist, und davon hast Du zb gar nciht geschrieben: es gibt so viele die keinen Mindestlohn bekommen(den es ja in Deutshcland so auch nicht gibt)Und derweil sie Vollzeit arbeiten für (zb) drei euro, sind sie gezwungen noch mal bei der Behörde vorstellig zu werden,der sogenannte Kombilohn.Wenn Du arbeitest,solltes Du auch davon leben können!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Petra
20. August 2010 um 07:40 Uhr
@Sandra: herzlich Willkommen! Mindestlohndebatte an sich ist ja schon so umfangreich und vielschichtig, dass sie sicherlich eigene Artikel Wert ist. Ebenso die Unverschämtheit, dass man mit Vollzeitarbeit nicht mehr seinen Lebensunterhalt + Miete bezahlen kann. Aber auch darüber muss ich mich in einem eigenen Artikel auslassen :-)
KaRiBi
24. September 2010 um 19:51 Uhr
Bravo CeKaDo, sehr aufschlussreicher Beitrag. Wir regen uns über Google Street View auf und wollen Kinderarmut mit Chipkarten öffentlich machen?
Maximilian
21. Februar 2011 um 10:47 Uhr
Ich kann mich dir sehr anschließen, da ich auch nicht glaube, dass es an der Geldmenge liegt, ob bestimmte Angebote genutzt werden. Man kann durch diese Förderungsmethoden eben sehr gezielt bestimmen wo es hin geht. Keine Frage übernimmt der Staat hier starken Einfluss, aber da er das Geld von uns allen dafür einsetzt finde ich es völlig legitim, dass auch die jeweiligen Ausgaben zielgerichtet ausgegeben werden, auch wenn das im Einzelfall nicht ideal ist.